Wie ein industrielles Produkt entsteht

Als Betriebswirte sind wir zumeist mit dem Kauf oder Verkauf von Waren/Produkten und der Erforschung der zugehörigen Marktlage so wie den daraus resultierenden Ergebnissen in Form von Kosten-/ Gewinn-/Verlust- und Bilanzierungsberechnungen beschäftigt. In der Regel kaufen wir das Produkt mit dem wir handeln wollen fertig ein, bei industriellen Produkten vielleicht in größeren Mengen. Aber wie entsteht ein industrielles Produkt ? Ich möchte Euch darüber berichten, wie ich bei meiner Tätigkeit als Konstrukteur und Entwicklungsingenieur bei einem in Stuttgart ansässigen Haushaltgerätehersteller an vorderster Stelle damit beauftragt war.

Eine Entwicklungsabteilung besteht aus der Ideen- und Berechnungsgruppe und Zeichnungen erstellenden Konstruktion, dem danach Teile nach Zeichnung herstellenden und zusammenbauenden Musterbau und dem Versuchs-Labor des Musters. Das ganze Produkt wird dort erfunden, bemustert und erprobt bis es nachweislich korrekt funktioniert und dann in die Massenfertigung übergehen kann. Mit der parallel zugehörigen Werkzeugerstellung für nicht genormte Teile, der Einrichtung von Fertigungs und Montagebändern durch die Arbeitsvorbereitung, an denen dann Arbeiter in jeweils gleichen Arbeitsschritten - der Arbeitssteilung - die Massenproduktion erstellen.

Wichtigste Aufgaben der Entwicklung sind:

Die Räumlichkeiten der Entwicklung können innerhalb des Unternehmens wegen Diebstahlsgefahr geistiger Leistungen/Erkenntnissen nur mit Codeeingabe am Eingangsbereich betreten werden.

1974 trat der Verkauf an den Entwicklungsdirektor heran mit der Bitte, man möchte doch zur gut verkauften Waschmaschine auch Trockner verkaufen, andere hätten das schon und man möge sich doch bitte beeilen. Ein normaler Ablufttrockner, der die Luft von außen anzieht und nach dem Prozess an die Aussenluft wieder abgibt war schnell "gemacht". Der damalige Leiter Trockner - Entwicklung kam auf mich zu, ich möge behilflich sein. Sinn dessen : "Gag" , schutzrechtliche Sicherung und "darf nix kosten !". Ich dachte nach und ersann für den Trockner ein Wärmerückgewinnungsverfahren durch Verlegen vom Luft-Ablaufschlauch in den Luft-Zulaufschlauch. Hier findet ein brauchbarer Wärmerückgewinn statt. Das zugehörige Patent wurde erstellt mit Nr.:DE000003717425 (siehe Anlage 1). Die Erfindung wurde von der Patentabteilung, die der Entwicklung angeschlossen ist, an einen Patentanwalt gegeben, der das Schutzrecht im Patentrechtsdeutsch erstellte und beim Patentamt einreichte. Das Patent wird nach Einhaltung einer Frist bis zu einem Jahr "Offengelegt" da können Einsprüche dagegen eingereicht werden für den Fall, dass evtl. ein Wettbewerber seine eigenen Ansprüche in einem eigenen Patent verletzt sieht. Können keine Verletzungen nachgewiesen werden wird das Patent nach Ablauf einer weiteren Jahresfrist rechtskräftig nach Zahlung einer Jahresgebühr erteilt. Die Jahresgebühr wird Jahr um Jahr progressiv teurer. Der Rechtsschutz erlischt nach max. 20 Jahren, eine weitere Aufrechterhaltung ist danach nicht mehr möglich, das Patent ist dann frei und kann von Jedermann benutzt werden.

Der Trockner TRA 870/ TRA 871 wurde ein Renner und war sehr gut und preiswert. Um 1978 wurde mir angetragen, die Entwicklung eines Kondensationstrockners mit Grundlagenforschung / Konzeption / techn. Funktionsberechnungen / Kostenberechnungen /Konstruktion der Bauteile / Musterbauteilekontrolle und Versuchslaborergebniskontrolle/ Werkzeugfreigaben zu übernehmen. Mehrere Konstruktions - Kollegen wurden mir zur Seite gestellt. Vorgegeben waren: 5 Kg Nasswäsche (100% bis 20% RF) in einem Gang auf 0 bis 15 % (RF)Restfeuchte zu trocknen, ein nach Möglichkeit zu erreichender Fabrikvergabepreis, die normale Haushaltslogistik mit 230 V / 16 Ampere Wechselstrom, Wasserzulauf mit einem Druck zwischen 2 und 6 bar und einem Wasserablauf in Küche und/oder Bad und die max. Geräteabmaße mit Höhe 85 cm, Breite 60 cm, Tiefe 60 cm. Ich berechnete die erforderlichen Haupt-Bauteile Wäschetrommel, Heizung, Umluftgebläse, Kühlgebläse, Motoren, Wärmetauscher bei der Bedingung, dass die Wäsche bei zunehmender Trocknung nicht verbrennen oder schrumpfen darf und der Luftstrom deswegen nicht mehr als 120 ° Celsius für die Wäsche warm werden durfte. Dabei kam ich auf eine Prozesszeit von 40 bis 90 Minuten je nach Wäscheart.
Kurz für Ingenieure: Die wärmetechnischen Berechnungen für den Kondensationsprozess habe ich mit Hilfe des Mollier I/X-Diagrammes den Gasdruckprozessdiagrammen sowie Luftströmungsberechnungen laminarer und turbulenter Strömungen/Dampftafeln durchgeführt.

Die Aufteilung der erforderlichen Prozessenergie aus 16 Ampere Normal-Sicherung erfolgte in 600 Watt für Motoren und Steuerprozesse (1,5 Amp.) und 3000 Watt Heizung (14,5 Amp.). Die Abführung des anfallenden Kondensats erfolgte in das Haushaltabwasser bzw. in ein Kondensatsammelgefäß mit Entleerung ins Abwasser. Dann schnitzte mir der Musterbau aus "Schaumstoffblöcken" in einer Pappkiste, die den Geräteabmassen entsprach, die "Bauteile". Es passte alles in die Kiste und wir fingen an, meine ersten Entwurfszeichnungen und Handskizzen (auf DIN A4) in fertigungsgerechte Zeichnungen zu konstruieren. Features hatte ich natürlich "gesehen" und sofort mit der Patentabteilung die Erfindungen zur Vorlage/ Einreichung besprochen. Die parallel angeschlossene Elektrotechnische Entwicklungsabteilung entwickelte die dazu notwendigen Steuergeräte für den Prozessablauf sowie Regelthermostaten für Wärmebegrenzungen. Diese Teile wurden zu 95 % von Zulieferern bezogen. Mit einer Entwicklungszeit von ca. 2 Jahren wurden die Bauteile mehrere Male bemustert und wieder verbessert. Dabei wurden Fachleute der Arbeitsvorbereitung einbezogen, die Ihre Fertigungs- und Kosteneinsprüche oder Vorschläge in "Value-Analysis"-Sitzungen im "Brainstorming" mit einbrachten. Später kam die Einkaufsabteilung hinzu, die die zusätzlichen Normteile, Halbzeug und anderes wie Montagebänder etc. zum Produkt beschaffte. Notwendig war es auch, Baugruppen wie z.B. die Gebläse mit einem speziellen Hersteller, der später auch liefern sollte, die Gebläseräder zu entwickeln. Dazu waren Flugreisen erforderlich um schnell vor Ort auftretende Probleme zu lösen. Ich war oft unterwegs. Auch bei der Abnahme von Werkzeugen, (Spritzguss- / Stanz-/ Biege-werkzeuge etc.) die für Teileherstellung vergeben worden waren, war meine Entscheidung zur Funktion / Verwendung zur Freigabe gefragt wie schon zuvor bei der Werkzeugkonstruktion. Parallel dazu liefen Versuchsreihen mit Musterbaugeräten unter variablen Versuchsanordnungen um festzustellen, wo evtl. Fehler im Trocknungsprozess oder Schäden an Wäsche oder Gerät oder Anwendungsfehler auftreten könnten.

Während der ganzen Zeit liefen parallel zur Kostensenkung Wertanalysesitzungen betreffend Teileherstellung und Montage um den Fabrikvergabepreis zu erreichen. Hier war mein Studium an der VWA sehr hilfreich, da "der Blick über alle Stationen bis zur Auslieferung" reichte. Vor Anlauf der endgültigen Massenfertigung wurden aus den Werkzeugen die ersten 200 Geräte in einer Vorserie gefertigt die als "Fieldtest"-Geräte an ausgesuchte Kunden gingen um vor Ort im Haushalt die Geräte nochmals zu testen und dort evtl. auftretende Fehler/Probleme zu lösen. Der Kondensationstrockner (TRK 880/ TRK 885) wurde 1981 ein Renner. Er war so gut, dass die Firma AEG ihn in Lizenz nehmend unter ihrem Label ebenfalls in großen Stückzahlen absetzen konnte.

Der Betriebswirt ist meistens nicht mit technischen Zeichnungen oder technischen Angaben, die über Verkaufsbezeichnungen- / Größen hinausgehen, befasst. Dennoch möchte ich einmal das oben genannte Patent hier anhängen. Vielleicht versteht es der eine oder andere von uns zu lesen.
Anmerkung: Ein Gebrauchsmuster wirkt wie ein Patent, lediglich fehlt ihm die technische Neuerung, die noch nicht dagewesene, nicht vorhandene neue technische Errungenschaft.

Weitere Patente und Gebrauchsmuster zu meinen Arbeiten am TRK und WA:
DE000002914859 Wärmetauscher TRK (Bauknecht)
DE000004021533 Mitnehmer "
DE000004104678 Wärmegewinnung "
DE000002638619 Spritzwerkzeug "
DE000003717425 Wäschetrockner "
DE000004021533 Wäschetrockner "
DE000004106713 Wäschetrockner "
DE000008123335U1 Umsteckvorrichtung - Gebrauchsmuster "
DE000008103095U1 Varierbarer Sockel - Gebrauchsmuster WA "
DE000007635663U1 Waschmaschine Mäanderschlauchung - Gebrauchsmuster(Bkn)

Schutzrechte zusammen mit Kollegen
DE000003131543 Kondensatbehälter "
DE000003624050 Rohrheizkörper "
DE000004131005 Trommel - Mitnehmer (Bkn)

Schutzrechte bei anderen Unternehmen
DE000019630732 Heißluftdämpfer als Geschirrspüler (JUNO)
DE000019630327 Wasserschwingverteiler (JUNO)

Eigene Anmeldung in 2009:
DE102009011673 TRK mit Wärmerückgewinnung (ich selbst)
Dies sind so die wichtigsten Schutzrechte von meiner Seite für Produkte.
Die Patentbibliothek des Patentamtes ist öffentlich und für jedermann einsehbar für Recherchen. Auch, um evtl. Erfindungsgedanken nachgehen zu können ob es die Neuerung gar schon gibt. Die Bibliothek heißt "depatisnet". Die Einsteigerrecherche findet man unter https://depatisnet.dpma.de/depatisnet/htdocs/prod/de/hilfe/recherchemodi/einsteiger-recherche/index.html

Euer BB Rolf Maier v/ Schnauze im Dez. 2017


Patentschrift