Das romantische Bietigheim an der Enz

Unser mittelalterliches Bietigheim, das 1364 zur Stadt erhoben wurde, ist für manchen Fremden eine Überraschung. Kommt der Besucher aus dem modernen Bahnhofsgebäude und bummelt die breite Stuttgarter Straße hinunter, an der sich auf der einen Seite ein großes Industriewerk hinzieht, so vermutet er alles andere als ein so hübsches Stadtbild mit Fachwerkgiebeln und alten Türmen. Ganz besonders anheimelnd ist unsere Stadt in der Weihnachtszeit. Ich gehe über die Enzbrücke. Am E-Werk (im Volksmund aufgrund der Architektur auch „Elektrische Kirche" genannt) spiegelt sich im Wasser der Lichterbaum. Hier fließt die Metter in die Enz, und gemeinsam eilen sie als breiter Fluss, vorbei an Weinbergen, dem Neckar zu.

Das Untere Tor ist auch heute noch der Eingang zur eigentlichen Stadt. Wie schön steht es da mit seinem Fachwerk und den kleinen Fenstern mit den weiß-rot gestrichenen Fensterläden! In der Mitte wölbt sich eine große Toröffnung, durch die auch heute noch die Wagen fahren; rechts und links zwei kleinere Torbögen für die Fußgänger. Eine kleine, steile Steintreppe führt hinauf zur Wohnung des Türmers, der noch jeden Abend das Glöcklein läutet. Vor mir sehe ich den Fräuleinsbrunnen, dessen Säule ein Meerweibchen ziert. Darunter speien vier bärtige Maskarons das Wasser in den achteckigen Trog. Im Sommer blühen Blumen um den Sockel.

Ich wende mich stadtaufwärts. Die Hauptstraße wird breiter, und vor mir liegt der Marktplatz. Wie reizend ist dieser Platz! Da steht das Rathaus mit hohem, steilen Dach. Der Erker, über dem eine kunstvolle Uhr angebracht ist, endet in einem schlanken spitzen Turm. Eine kleine Freitreppe führt auf den Balkon. Im warmen Schein des hohen Christbaumes, der davor steht, wirkt alles wie verzaubert. Der Platz ist umsäumt von alten Bürgerhäusern mit Fachwerk und spitzen Giebeln. Darüber erhebt sich der Turm der gotischen Stadtkirche. Wie feierlich ist es einem, wenn die Bläser am Weihnachtsabend einen Choral spielen, der über die alten Häuser hallt. Am Marktbrunnen verweile ich. Herzog Ulrich steht auf anmutig verzierter Säule. Darunter plätschert das Wasser ganz vertraulich, als es erzählen wolle aus der guten alte Zeit. Es würde mich nicht wundern, wenn schwere Tritte aus der Gasse hallten und der Nachtwächter mit Horn, Lanze und Laterne leibhaftig vor mir stünde. Da höre ich doch sein Lied:

„Hört Ihr Herren und lasst Euch sagen.............!"

Unwillkürlich kommt mir der Vergleich mit dem sommerlichen Bild des Platzes: es ist ein heller sommriger Morgen, Marktstände mit Gemüse und bunten Blumen stehen da, darüber vielfarbige Sonnenschirme aufgespannt. An vielen Fenstern sind Kästen voll leuchtender Blumen, und der Brunnen ist Tummelplatz ausgelassener Buben. Und ich kann mich nicht entschließen, welchem Bild ich den Vorrang gebe. Nach einem kleinen Abstecher zur Kelter, wo in der Nähe auch der Pulverturm und das noch benützte Backhaus stehen, gehe ich die steile Gasse hinunter zur Metter. Sie fließt an der Stadtmauer entlang und muss einmal ein sauberer Fluss gewesen sein, denn die Gerber wuschen ihre Häute darin. In unseren Tagen gehört das Flüsschen nur noch den Gänsen und Enten, die von den oberhalb gelegenen Gärten heruntergewatschelt kommen.

Weiter spaziere ich stadtauswärts, vorbei an der alten Mühle, durch eine Baumallee hinauf zur Peterskirche. Sie wurde auf römischen Fundamenten errichtet und ist mit etwa 1100 Jahren das älteste Bauwerk der Stadt. Ein schöner alter Friedhof umgibt sie. Nun möchte ich aber auch das Innere der Kapelle St. Peter sehen. Ich öffne die schwere Eichentür, und da kommt mir der Gedanke, wie viel Generationen wohl schon durch diese Pforte gegangen sind. Ich setze mich und schaue mich um und bin auch schon gefangen von der Schlichtheit dieses feierlichen, romanischen Raumes. An den Wänden entdecke ich Grabplatten, darunter auch die des Bietigheimer Vogtes Sebastian Hornmold, der 1581 in Bietigheim gestorben ist. Die wieder freigelegten Fresken schmücken auch heute noch das Kirchlein. Der letzte Weg der meisten Bietigheimer Bürger führt durch diese Pforte hinaus auf den stillen Gottesacker. Über sie Mauern kann man zurückschauen zur Stadt, deren Dächer in der Sonne glänzen. Man hört die Turmuhren schlagen, der Klang der Glocken schwingt herüber zu mir.

Ulrike Diesener, Hillerschule Bietigheim 1964 Klasse 8b.

Ulrike Diesener hat mit diesem Aufsatz den damaligen Aufsatzwettbewerb der Bietigheimer Schulen zum Thema 600 Jahre Bietigheim gewonnen. Heute ist Ulrike Diesener die Frau unseres AHX v/ Famulus.